Spannung in der Klassischen Musik | |||||||||
JOURNALIST: Herr Hübner, wie stehen Sie zu den Aspekten der Span-nung, des Dramatischen oder gar des Sensationellen in der klassischen Musik? PETER HÜBNER: Musikalisch gesehen enthält die klassische Musik das Element der Spannung in dessen reiner und natürlicher Form. Aber die meisten heutigen Interpreten bringen zwei Dinge durcheinander: Spannung und Konflikt. Der Konflikt in der klassischen Musik offenbart sich meistens als Ausdruck einer persönlichen Inkompetenz auf seiten des Interpreten, die dieser in die Musik hineinträgt. Das nennt er dann während er die musikalische Flucht seines menschlich-musikalischen Unvermögens nach vorne antritt seine ganz persönliche Interpretation, und durch diese will er sich dann auch möglichst deutlich von seinen Kollegen abheben. So fühlt er sich schließlich in seiner geistigen Verblendung als eigenständiger Künstler. Warum soll der klassische Komponist, der den Konflikt als menschliches Unvermögen und als unnatürlich ansieht, ihn nun künstlich in seiner Musik strukturieren? Dies betrachtet er nicht als seine Aufgabe von solchem Unvermögen ist die Welt auch ohne klassische Musik schon voll genug. Aber nicht, daß wir uns hier mißverstehen: wenn ich von persönlicher Inkompetenz spreche, dann spreche ich nicht von musikalischer, sondern von menschlicher Inkompetenz. Von Beethoven, einem der größten Komponisten, ist bekannt, daß er sein Leben lang von schweren Kopfschmerzen gequält wurde. Für Tschaikowsky gilt mehr oder weniger das gleiche, und er war darüber hinaus sehr depressiv. Dennoch haben sie ihre Musik von diesen ihren alltäglichen Problemen freigehalten. Was man gegenwärtig so als Spannung in der Musik bezeichnet, würde ich Streß nennen. Von Beethovens Musik wird gesagt, daß sie mehr Spannung besitze als Mozarts Musik. Das ist einfach falsch. Nur die Interpretation von Beethovens Musik wird so verunstaltet, bis sie schließlich scheinbar mehr Spannung besitzt. Diese Spannung aber wird künstlich simuliert: der Dirigent zieht ein angestrengtes Gesicht, beginnt, sich wild und verkrampft zu bewegen, die Orchestermitglieder müssen sich immer mehr anstrengen und lauter spielen, und das führt dann schließlich und endlich zu mehr Spannung besser gesagt: Krampf ein großes menschlich-musikalisches Mißverständnis. In einer natürlich strukturierten Musik ist die Harmonie der Ausdruck von Spannung. Die Disharmonie dagegen bedeutet nicht mehr und nicht weniger als nebeneinander so wie der Begriff der Harmonie miteinander bedeutet. Nehmen wir das Beispiel von Mann und Frau. Zwischen diesen besteht eine natürliche Spannung. Aber diese natürliche Spannung kommt doch nicht dadurch zum Ausdruck, daß sie sich lauthals streiten? So ist es auch in der Musik. Spannung ist nicht das harte Streitgespräch das ist Streß. Musikalisch bedeutet Harmonie das natürliche Sich-Miteinander- Vertragen von Gegensätzen, deshalb: Spannung. Harmonie heißt: spielerische natürliche Integration von Gegensätzen. Zwischen Gleichem gibt es doch gar keine natürliche musikalische Harmonie also natürliche Spannung auch wenn der musikalische Gleichschritt so penetrant ausgetragen wird, daß er beim Musiker und beim Hörer Streß erzeugt; dies ist dann allenfalls persönliche Inkompetenz der Interpreten aber keinesfalls natürliche musikalische Spannung. Wenn in der klassischen Musik der Interpret natürliche Spannung in Streß ummünzt, dann erleben wir das, was mit Richard Wagners Musik geschehen ist. Dieser große Tonschöpfer war der Überzeugung, daß sich die natürliche Menschenwürde in einem diktatorischen System kaum entfalten könne, und er war deshalb überzeugter Demokrat. Wagners musikalische Darstellung der Befreiung des menschlichen Genius wurde dann später von den Interpreten so verfälscht dargestellt, daß sich ein Diktator ersten Ranges wie Adolf Hitler dieser Interpretationen bediente, als er ein ganzes Volk und mit ihm viele andere Völker in den Krieg trieb. Wagner wird auch heute noch grundlegend falsch interpretiert, und wenn Sie wissen wollen, was ich meine, dann gehen Sie nach Bayreuth zu den Festspielen und schauen sich um, ob da die Vertreter der natürlichen Menschenwürde zusammenströmen und ob die Welt von da wirklich eine Besserung zu erwarten hat wie es Wagner vorschwebte. Wagners Partituren waren die ersten Partituren, deren Aufführung ich in meinem Inneren erlebte, als ich sie als Achtzehnjähriger las. Und als ich dann sehr viel später einmal eine Aufführung dieser Musik hörte, da empfand ich dies als ein Vergehen an der musikalischen Inspiration dieses genialen Tondichters. Die Interpretation steht heute kopf. Wie soll es denn auch anders sein, wenn zunehmend Geld-orientierte Stars unter dem Schirm großer Konzerne die offizielle Musikwelt regieren, in denen ein persönliches Engagement für die natürliche Menschenwürde gar nicht lebendig ist. Viele unter ihnen wissen gar nicht, wovon ich rede, und meinen vielleicht noch, man müßte eventuell mehr Benefiz-Konzerte für wohltätige Zwecke geben, und dann wäre das mit der Menschenwürde auch geregelt. Wagners menschliches Anliegen muß in einer Aufführung seiner Musik so zu seinem Recht kommen, daß sich die Hörer inspiriert sehen, den Nächsten in seiner Freiheit zu achten und zu fördern und nicht ihn mit hehrer Gewalt als vermeintlicher Held und Stärkerer zu überwinden und dann dessen Reichtümer zu kontrollieren. Sitzen nicht heute immer mehr Vertreter gerade dieser unnatürlichen Geisteskultur im Publikum? Aber solche Menschen kommen nur, weil die verfälschte Aufführung ihren seltsamen Prinzipien huldigt. |
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